Mit Prof. Dr. Andreas Gattinger (Uni Giessen),Sonja Kay (Agroscope Zürich) und Fredi Rutschmann (Hof Gasswies). Wir haben den ReferentInnen einige Fragen gestellt, die uns interessieren. Hier ihre Stimmen:
Prof. Dr. Andreas Gattinger, Uni Giessen
1) Was ist Agrikultur für Dich?
Wörtlich übersetzt – das Land zu kultivieren, Landwirtschaft mit allen Beteiligten zu betreiben. Einflechten möchte ich, dass für mich zu dem Begriff auch Bauer, bäuerliche Landwirtschaft dazu gehört. Und Bauer, das kommt aus dem mittelhochdeutschen und bedeutet Dorfgenosse / Nachbar. Landwirtschaft begreifen als „einer von uns“ macht’s, dann ist auch die Spaltung von Stadt und Land kein Thema.
2) Was kann Landwirtschaft / Ernährung beim Thema Klimawandel beitragen?
Landwirtschaft hat beim Thema Klima eine dreifache Rolle: 1. Sie ist der Sektor, der am stärksten vom Klimawandel betroffen ist. 2. Landwirtschaft trägt über Emissionen Mitschuld am menschengemachten Klimawandel 3. Gute Landwirtschaft kann Teil der Lösung sein, auch mit klimapositiven Aktivitäten, z.B. Baumwirtschaft im gemischten System, Dauerkulturen. Im Holz kann der Kohlenstoff über Generationen gebunden werden, erst als Baum und dann als Nutzholz in der Baumwirtschaft.
3) Was ist Dein Steckenpferd, das Du hier präsentiert hast und das Dich begeistert?
Der Systemblick, der Blick auf’s Ganze und wie alles zusammenhängt, auch wenn das sehr schwer zu erfassen ist. Wie Co2 rein und raus kommt, das ist im Boden leicht zu messen. Doch rauszufinden, was verschiedene Massnahmen / Betriebsweisen für das gesamte System, den Klimawandel bedeuten, das ist extrem schwierig, doch genau das finde ich auch sehr spannend.
In der Wissenschaft gibt es aus gutem Grund die verschiedenen Fachdisziplinen, doch für eine Transformation braucht es mehr als Sektoren-Denken, das gesamte System muss betrachtet werden, um dann die richtigen politischen Entscheidungen zu fällen und die Gesellschaft mitzunehmen. „Die Kuh ist ein Klimakiller“, so ein plakativer Spruch macht’s es schlimmer und ist nicht hilfreich.
Sonja Kay, Agroscope Zürich
1) Was ist Agrikultur für Dich?
Agrikultur, das ist für mich das Bewirtschaften von Landschaft, nicht nur Feldern, um etwas zu produzieren, ein Produkt zu erhalten. Kultur, das beinhaltet auch Tradition und was sich daraus entwickelt und die Kultur drumherum, die entsteht. Zum Beispiel die Kirschbäume im Basel-Land und der Kirsch als Kulturtradition in dieser Region. Oder die Walnüsse und die Bündner Nusstorte in Graubünden.
2) Was kann Landwirtschaft / Ernährung beim Thema Klimawandel beitragen?
Viel, weil wir durch unsere Ernährung entscheiden, was und wie angebaut wird, was in der Region auf den Feldern steht. Die Komsumenten können und müssen viel mit regeln. Produzenten, Konsumenten und Politik müssen Hand in Hand arbeiten. Die Wertschöpfung muss auch da sein, Produzenten können vorschlagen, doch Konsumenten müssen auch kaufen, klimaschonend konsumieren.
3) Was ist Dein Steckenpferd, das Du hier präsentiert hast und das Dich begeistert?
Agroforst ist ein spannendes System. Ich komme vom Hof und habe Forstwirtschaft studiert. Im einen System hat man Erträge erst in 100 Jahren, im anderen nach einem Jahr. Warum kombiniert man die Systeme nicht? Streuobstwiesen sind wunderschön, die Landschaft um Tübingen rum. Diese alten Systeme kann man wieder nutzen, als moderne Agroforstsysteme. So dass man unter den heutigen Bedingungen bewirtschaften kann, maschinell und wirtschaftlich interessant. Der Klimawandel ist da, es braucht resiliente Lösungen. Extremwetterereignisse werden zunehmen, ich hoffe, dass Bäume diese puffern können. Erfahrungen in Frankreich zeigen z.B., dass Getreide im Agroforst nicht so schnell notreif wird.
Fredi Rutschmann, Hof Gasswies
1) Was ist für Dich Agrikultur?
Das ist die Verbindung vom Mensch zu der Landwirtschaft. Wir müssen eine neue Kultur entwickeln, die die Leute mit der Landwirtschaft verbindet. Ich sehne mich nach Verbindung. Die Sehnsucht Leute mit meinem Hof zu verbinden, das ist Kultur. Wir sind am Dorf, ich ernähre sie und das Dorf hat die Aufgabe, dass ich davon leben kann. Ich möchte eine gute Landwirtschaft machen, so dass das Dorf in einer schönen Gegend wohnt, mit schönen, bunten Kulturen. Die Welt braucht Sesshaftigkeit. Wir müssen es schaffen, dass die Mensch im Dorf bleiben möchten. Wenn wir es schaffen, dass es schöne Landschaften gibt – zum Beispiel ein Leinfeld um die Mittagszeit, das ist wie ein Meer – dann braucht man nicht mehr fliegen, um ans Meer zu kommen. Da wo wir sind gefällt es uns dann. Und wenn wir auch die Lebensmittel produzieren, die das Dorf will. Dann wird’s bunt. Und wenn die im Dorf dann schauen, dass ich davon leben kann, dann ist es ein Traum von mir, dass ich die Subventionen zurückzahle, dass ich die gar nicht mehr brauche.
2) Was kann Landwirtschaft / Ernährung beim Thema Klimawandel beitragen?
Landwirtschaft als Gemeinschaft von Menschen und dann sind wir verantwortlich für das Klima. Wir uns so ernähren, dass das Klima geschont wird. Wir uns als Menschen zum Hof stllen, wieder persönlich werden. So dass ich als Bauer für Dich produziere. Das grosse Ganze mit vielen kleinen Bausteinen. Alle zusammen werden dann mit Fruchtbarkeit gedankt.
Ich habe mir vorgenommen, den Hof mal fruchtbarer wieder abzugeben, als ganzen Ort gedacht. Ich habe lange gebraucht bis ich die ökologische Landwirtschaft verstanden habe, dann die Zusammenhänge und mittlerweile kann ich annähernd das Konzept des Organismus verstehen. Es geht nicht um einzelne Betriebszweige, es geht immer um das Gesamtkonzept. Da werden Unkräuter zu Zeigerpflanzen. Und es geht nicht mehr darum zu kämpfen, sondern zu schauen, was Dir die Pflanze zeigt. Da kommt dann der Punkt, wo die Natur Dich an die Hand nimmt und Dich führt. Du musst nur noch betrachten. Diese Erfahrung wünsche ich jedem jungen Landwirt. Denn ab da vertraust Du Deinem Bauchgefühl.
Wir machen seit vielen Jahren kuhgebundene Kälberaufzucht auf dem Hof… dieser Moment, wenn die Kälber an den Kühen trinken und die Kuh dann so einen Frieden ausstrahlt, das zu sehen ud zu spüre macht mir immer wieder Mut weiterzumachen. Das möchte ich auch anderen vermitteln. Die Erfahrung dieses Momentes, wo das passiert. Ich geniesse dies heute immer noch wie am 1. Tag.
Ich lerne von den Kühen. Sie weiden, geben Milch und Fleisch und der Boden wird fruchtbarer. Dieses Beispiel zu erleben ist der Antrieb für mich, Landwirtschaft immer weiterzuentwickeln und weiterzumachen.
3) Was ist Dein Steckenpferd, das Du hier präsentiert hast und das Dich begeistert?
Das ist z.B. die Auseinandersetzung damit wie der Hof in Gemeinschaft geht, wie wir das umsetzen können. Und die persönliche Veränderung, die es dabei braucht. Ich versuche alle Entscheidungen, die ich auf dem Hof fälle, mit dem Wir-Gedanken zu fällen. Bei jeder Entscheidung überprüfe ich kurz: Was ist gut für das Ganze, für den Hof. Statt ich wir. Das ist nicht einfach, doch es entsteht etwas ganz anderes daraus. Bei der Stallplanung haben wir beschlossen nicht nur eine einfache Heutrocknung zu bauen, wie wir sie für die Kühe bräuchten, sondern diese gleich so konstruieren, dass wir auch Getreide und Hackschnitzel trocknen können. Und den Melkstand haben wir so konzipiert, dass er dank einer Zwischen-Desinfektion die beste Milchqualität ermöglicht. Dies ist wichtig falls wir zukünftig mal eine eigene Milchverarbeitung auf dem Hof haben. Ich schaue, dass immer alle etwas von den Entscheidungen haben.
Beim Klimawandel zählt die Vielfalt, es braucht diese ganzen Bausteine: Acker, Wald und Grünland verbinden, Mehrnutzungssysteme, Aufbereitung des Komposts, Bindung von Nährstoffen, regenerative Landwirtschaft, Begrünung des Ackers, so dass ständige Photosynthese möglich ist. Das Ganze zusammen braucht es, wir müssen das Organismusdenken wieder aktivieren.